Förderung Geförderte Vorhaben Vorformen des Bildungsprogramms der Artes Liberales – zwei gegensätzliche Konzepte bei den Pythagoreern und in der Sophistik

Vorformen des Bildungsprogramms der Artes Liberales – zwei gegensätzliche Konzepte bei den Pythagoreern und in der Sophistik

Die Artes liberales – in 2500 Jahren abendländischer Geschichte nachweisbar und für sehr unterschiedliche Regionen, Kulturen und Religionen (heidnische Antike, Juden- und Christentum und Islam) adaptierbar – sind das erfolgreichste Bildungsprogramm Europas.

Die am Projekt beteiligten Wissenschaftler gehen von der Beobachtung aus, dass sich die Erforschung der Artes-Tradition bislang v. a. auf die Einführungsschriften aus Spät­antike und Mittelalter konzentrierte, was aber viele Fra­gen offenlässt (u. a. warum das Studium so lange dauer­te), und dass insbesondere die Ursprünge der Tradition im 5. Jahrhundert v. Chr. noch weitgehend unerforscht sind. Schon hier aber entstanden ausgefeilte Theoriegebäude, auf denen die späteren Einführungs­schriften fußen, und v. a. zwei unterschiedliche Bewer­tungen der Quadriviums- und Triviumsfächer, die hete­ronome Lehrtraditionen begründeten und ohne deren Erhellung spätere Phasen der Tradition nicht angemes­sen verstehbar sind.

Diese Bewertungen ergaben sich aus unterschiedlichen Definitionen des Bildungsziels. Die Pythagoräer zielten auf eine Ausbildung des Verstandes, setzten einen engen Nexus zwischen Zahlhaftigkeit und Erkennbarkeit an und prio­risierten dafür die mathematischen Fächer des Quadrivi­ums (Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie). Die Sophisten dagegen verfolgten ein Bildungsziel individuel­ler Souveränität, Selbstbehauptung und gesellschaftli­cher Durchsetzungsfähigkeit, für das sie das Trivium – und darin speziell die Rhetorik – als zentral begriffen. Sprache galt ihnen als unmittelbarer Ausdruck des vor­stellungshaften Denkens; einzelne Sachgehalte wurden dem logos – als abstrakt-übergeordneter Universalme­thode im Dienst lebenspraktischer Ermächtigung – un­tergeordnet.

Das pythagoräische Bildungsziel wirkte bei Platon und Aristoteles weiter sowie in Spätantike und Mittelalter; die sophistische Auffassung dominierte in hellenistisch-römischer Zeit (ca. 300 v. – 200 n. Chr.), an ihr orien­tierte sich der Renaissance-Humanismus in seiner Rück­wendung zur Antike und verfocht eine Unterordnung der mathematischen unter die sprachlich-musischen Fächer, die in das heutige System der Geistes- und Naturwissen­schaften mündete. Es werden zwei Teilprojekte zu den Ursprüngen der Artes-Tradition in der pythagoräisch-sophis­tischen Diskussionskultur als Grundlagenarbeit durchgeführt. Da v. a. wichtige Quellentexte zu den Quadriviumsfächern noch unediert sind, liegt darin eine der Hauptaufgaben.

Teilprojekt A gilt diesen mathematischen Fächern und speziell dem Bestreben der Sophisten, ihre universell lo­gische Methode gegen deren theoretische Vertreter und die Komplexitäten oder Aporien fachwissenschaftlicher Sachgehalte zu profilieren: mit Appellen an das sinnliche Meinen, den Verständnishorizont der Laien und mit pragmatischen Lösungen von nur approximativer Genau­igkeit. Beleuchtet werden hier sophistische Lösungsvor­schläge – von Antiphon oder Hippias von Elis – für ma­thematische ‚Prestigeprobleme‘ wie die Kreisquadratur oder die (allein mit Zirkel und Lineal nicht mögliche) Dreiteilung des Winkels; mit Blick auf Hippias wird auch geklärt, inwiefern er die Unterschiede fachwissenschaft­lich-philosophischer und nicht-philosophischer Bildung nivellierte. Zentral für das Teilprojekt ist die Frage nach dem Rationalitätsbegriff, der sich einerseits mit der Wertschätzung des Quadriviums bei den Pythagoräern verbindet (sowie mit deren Kausalitätsverständnis) und andererseits mit der sophistischen logos-Auffassung. Die gewonnenen Erkenntnisse werden auch für ein vertieftes Verständnis der erhaltenen Fragmente und zur weiteren Rekonstruktion pythagoräischer Theorieansätze genützt.

Teilprojekt B wird speziell für die Disziplin der Rhetorik die Ursprünge zweier unterschiedlicher Konzeptionswei­sen und Bewertungstraditionen aufzeigen. Im Sophismus entsteht ein technisch-formales Verständnis dieser Kunst: als Reservoir von Mitteln, mit denen Hörer für be­liebige Inhalte eingenommen werden können. Da diese Auffassung seit der Renaissance im Abendland domi­niert, setzt das Gros der Rhetorikgeschichtsschreibung auch erst mit dem Sophismus an. Darüber geriet aber eine andere Rhetorikkonzeption aus dem Blick, die sich bereits bei Homer nachweisen lässt.

Seine Epen jedoch zeigen – exemplarisch etwa an den Reden der Bittgesandtschaft im 9. Buch der „Ilias“, die Achill wieder zum Kampf bewegen will – ein Rhetorik­konzept im Sinne einer Bildung des Denkens. Dessen zentrale Elemente sind: das Auffinden des in einer Sache Überzeugenden, die Berücksichtigung des emotionalen Status der Adressaten und die Vermittlung der Glaub­würdigkeit des Redners (von Aristoteles später als die drei zentralen Elemente der Rhetorik ‚logos‘, ‚pathos‘ und ‚ethos‘ konzipiert); ihnen sind die sprachlich-forma­len Mittel nachgeordnet.

Es wird zunächst zu zeigen sein, wie Aristoteles seine Rhetorik in Orientie­rung an Homer entwickelte (dafür sind weniger direkte Homer-Zitate als konzeptionelle Konvergenzen zu be­obachten, die als Rezeptionsvorgänge erklärt werden können, und auch Aristoteles‘ „Poetik“ einzubeziehen), und wie die unterschiedlichen Rhetorikkonzepte in der Folgezeit ver­schiedene Phasen der Artes-Tradition prä­gen, wobei für weite Strecken, etwa v. a. im Neuplato­nismus, die hellenistisch-römischen formalen Systemati­ken als didaktisches Material in eine philosophisch hoch­wertende Auffassung der Redekunst als Verstandesschu­lung integriert werden.

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