Förderung Förderbereiche Staat, Wirtschaft & Gesellschaft

Staat, Wirtschaft & Gesellschaft

Im Förderbereich „Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ will die Fritz Thyssen Stiftung insbesondere Forschungsvorhaben unterstützen, die die Voraussetzungen und die Folgen der Wandlungsprozesse untersuchen, die die heutigen Gesellschaften kennzeichnen. Sie konzentriert sich dabei auf Projekte, die sich den Wirtschaftswissenschaften, der Rechtswissenschaft, der Politikwissenschaft und der Soziologie zuordnen lassen. Sie schließt damit Forschungen in anderen Bereichen nicht aus.

  • Telefon- und Onlinebefragungen zufällig ausgewählter Personen durch Studierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu Fragen europäischer Identität.

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Für die Moderne ist die zunehmende Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels von zentraler Bedeutung. Im Zeitalter der Globalisierung hat dieser Beschleunigungsprozess zu Veränderungen der sozialen Lebenswelt geführt, die die Grundlagen nationaler Rechts- und Wirtschaftsordnungen erschüttern, den Anspruch des demokratischen Verfassungsstaates, das einzig legitime Modell politischer Ordnung in der modernen Welt zu sein, in Frage stellen, traditionale Institutionen menschlichen Zusammenlebens verändern und bis in die Alltagswelt des einzelnen hinein Chancen für neue Kulturkontakte eröffnen, damit zugleich aber auch die Gefahren neuer Kulturkonflikte erhöhen. Diese Wandlungsprozesse stellen auch Selbstverständlichkeiten in Frage, die bisher in vielen Disziplinen erkenntnisleitend waren: Wenn beispielsweise Nationalökonomien zunehmend in der Weltwirtschaft aufgehen, internationale Rechtsordnungen nationale Rechtsregime in die Schranken weisen und Nationalstaaten sich zu größeren Einheiten zusammenschließen und sich damit ihrer Souveränität begeben, können davon Wissenschaften nicht unberührt bleiben, deren Gegenstände die Wirtschaft, das Recht und der Staat sind.

Die Fritz Thyssen Stiftung fördert Projekte, die die Methodenvielfalt produktiv befördern und komparativ orientiert sind – sowohl, was den europäischen Raum als auch europaübergreifende Fragestellungen angeht. Sie legt besonderen Wert auf die Förderung von Projekten, die an der Schnittstelle mehrerer Disziplinen angesiedelt sind.

Die Stiftung will sowohl Projekte exemplarischen Zuschnitts mit deutlich empirischem Charakter fördern als auch Arbeitsvorhaben, die vorrangig von theoretischen Interessen geleitet werden.

Fachbereiche
  • Wirtschaftswissenschaften

    Ökonomische Ergebnisgrößen wie Wertschöpfung oder Beschäftigung sind Resultate unzähliger einzelner Entscheidungen einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure in vielfältigen Lebensbereichen. Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften ist es, die hinter diesen Entscheidungen und Ergebnisgrößen stehenden Zusammenhänge aufzudecken, deren Dynamiken zu entschlüsseln und zu erklären und somit mögliche Ansatzpunkte für eine geeignete Gestaltung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für ökonomische Entscheidungen aufzuzeigen.

    In besonderem Maße herausfordernd ist diese Aufgabe aufgrund des unaufhörlichen Wandels der Rahmenbedingungen. Phänomene wie die Digitalisierung und die Globalisierung sowie ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen sind noch weit davon entfernt, erschöpfend verstanden und erklärt zu sein. Nichtsdestoweniger erfordern gerade solche großen gesellschaftlichen Herausforderungen einen soliden Kompass für aktuelles wirtschaftspolitisches Handeln. Die beste Basis für diese Richtschnur bilden Erkenntnisse zu den tatsächlichen Wirkungen allgemeiner wirtschaftspolitischer Grundsätze und zielgerichteter Maßnahmen.

    Die Identifikationen von Kausalzusammenhängen stellt die Wissenschaft angesichts des komplexen Zusammenwirkens vielschichtiger menschlicher Handlungen und anderer Faktoren dabei häufig vor besondere Herausforderungen. Noch dazu kann die empirische Forschung zu Ursachen und Wirkungen in den Sozialwissenschaften häufig nur einem nicht-experimentellen Studiendesign folgen. Aktuelle Methoden der empirischen Wirtschaftsforschung, der Ökonometrie und nicht zuletzt der experimentellen Ökonomik bieten jedoch ein umfangreiches Spektrum an Werkzeugen an, um diesen Identifikationsproblemen zu begegnen.

    Vor diesem Hintergrund fördert die Fritz Thyssen Stiftung die Erforschung noch nicht ausreichend verstandener wirtschaftlicher Zusammenhänge und von deren Konsequenzen für Wirtschaft, Gesellschaft und das politische System. Im Mittelpunkt der Förderung stehen empirisch angelegte Projekte mit überzeugenden Strategien zur Identifikation von Kausalzusammenhängen. Inhaltlich werden dabei gleichermaßen die Untersuchung grundlegender ökonomischer Fragestellungen wie auch die Evaluation konkreter Einzelmaßnahmen unterstützt. Entscheidend sind die gesellschaftliche Relevanz und der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn der Forschungsarbeit.

    Überlappungen mit Nachbardisziplinen wie der Sozial-, Rechts- oder Politikwissenschaft liegen in der Natur der Wirschaftswissenschaften. Interdisziplinäre Forschungsprojekte sind daher gleichermaßen förderberechtigt wie ausschließlich ökonomische Forschungsprojekte.

  • Rechtswissenschaft

    Die Rechtswissenschaft steht heute vor nur schwer miteinander zu vereinbarenden Aufgaben. Zwar besitzt die klassische, systematisch-dogmatische Arbeit am Gesetzestext angesichts der Gesetzesflut und der Überfülle von Judikaten in einem Rechts- und Rechtswegestaat weiterhin große praktische und wissenschaftliche Bedeutung. Mehr und mehr tritt aber der Gestaltungsauftrag des Rechts deutlicher in den Vordergrund. Wie kann der Gesetzgeber seine Zwecke effektiv erreichen? Wo besteht überhaupt Regulierungsbedarf? Inwieweit tun Deregulierung und Selbstregulierung not? Welche Sanktionen, rechtliche und außerrechtliche, versprechen Erfolg?

    Die Beantwortung dieser und anderer Fragen kann heute von der Rechtswissenschaft nur noch theoretisch informiert und im inter- und transdisziplinären Diskurs geleistet werden. In diesen Diskurs einbezogen sind insbesondere die Wirtschaftswissenschaften, die Politikwissenschaft, die Philosophie und die Soziologie.

    Gleichzeitig gewinnt das Europäische Recht in der europäischen Mehrebenenrechtsordnung zunehmend an Einfluss. Die Europäische Union ist ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund, der durch ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure, Verbundtechniken und -instrumente immer wieder neu mit Leben erfüllt wird und erfüllt werden muss. Neben dem Europarecht ist das internationale und transnationale Recht, zumal in der Form zahlreicher Abkommen und angesichts internationaler Organisationen, denen Deutschland zugehört, wichtiger denn je. Das belegt nicht zuletzt etwa die WTO, die einen wichtigen Schritt hin zu einer Weltwirtschaftsordnung darstellt. Beide Entwicklungen bedürfen intensiver rechtswissenschaftlicher Begleitung und insbesondere rechtsvergleichender Forschungen.

    Schließlich vollziehen sich institutioneller Wandel und Transformation nicht nur in mittel- und osteuropäischen Ländern, sondern auch in Deutschland und den westlichen Industriestaaten, allen voran den USA, und stellen auch insoweit die Rechtswissenschaft vor ganz neue Herausforderungen.

    Die Fritz Thyssen Stiftung räumt solchen Projekten Priorität ein, die über die klassische, innerdeutsche, systematisch-dogmatische Arbeit hinausgehen, also einzelne Gesetze, Rechtsgebiete, Disziplinen oder Staatsgrenzen überschreiten. Ob solche Untersuchungen eher privat- oder öffentlich-rechtlich, eher materiell- oder verfahrensrechtlich ausgerichtet sind, ist ohne Belang. Das heißt nicht, dass nur europarechtlich ausgreifende, rechtsvergleichende und interdisziplinäre Arbeiten gefördert würden. Projekte, die Recht funktional untersuchen, genießen jedoch Vorrang: Die Stiftung möchte einen Beitrag leisten zum Verständnis der Rolle Rechts in einer modernen, vielfältig international eingebundenen Industriegesellschaft.

  • Politikwissenschaft

    Unter den Fragen, denen sich die Politikwissenschaft im 21. Jahrhundert gegenübersieht, haben die nach der Zukunft des demokratischen Verfassungs- und Wohlfahrtsstaates und nach der Zukunft liberaler Ordnungen im europäischen und außereuropäischen Kontext besonderen Rang. Sein Anspruch, auf die Dauer das einzig legitime Modell politischer Ordnung in der modernen Welt zu sein, schien durch das 20. Jahrhundert bekräftigt worden zu sein. Aber viele der Aufstände gegen autoritäre Diktaturen haben nicht konsolidierte Demokratien hervorgebracht, sondern autokratische Regime. Autoritäre Regime wie etwa China scheinen darüber hinaus das Entwicklungsproblem gelöst zu haben; jedenfalls entsteht hier ein Gegenmodell zur liberalen Verfassungsordnung, das zunehmend an Attraktivität gewinnt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden liberale Ordnungen aber nicht nur von außen herausgefordert, sondern auch von innen durch populistische Bewegungen und Parteien. Hier fehlen komparative Studien, die die europäische Erfahrung mit anderen Weltregionen vergleichen.

    Auch ist die Frage offen, wie sich der demokratische Verfassungs- und Wohlfahrtsstaat gegenüber neuartigen Herausforderungen bewähren wird, vor denen er schon steht oder stehen wird. Welche Möglichkeiten, wenn nicht die der Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungen, so doch der Einflussnahme auf gesellschaftliche Entwicklungen, hat Politik in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts? Wie wird sie umgehen mit dem wachsenden Problemdruck beispielsweise der Umweltkrise und vielfältiger Wirtschafts- und Finanzkrisen? Wie wird sie fertig mit der außerordentlichen Beschleunigung, auch der Intensität, mit der Prozesse des sozialen Wandels ablaufen – von den dramatischen demographischen Entwicklungen bis zum Wertewandel? Und wie verändern diese Prozesse die Rahmenbedingungen, die Handlungsmöglichkeiten der Politik? Ebenso dringlich ist die Frage, wie die Politik mit der zunehmenden Erosion der Bedeutung territorialer Grenzen zurechtkommt, beispielsweise in der Europäischen Union. Einfacher gefragt: Wie lässt sich in entgrenzten Räumen demokratisch regieren? Auch hier fehlen Untersuchungen, die die europäischen Erfahrungen mit anderen Weltregionen vergleichen. Dabei ist die empirische Forschung in vergleichender Perspektive ebenso gefragt wie die politische Theorie, insofern die Legitimitätsbedingungen demokratischer Politik auch immer wieder normativ hinterfragt werden müssen.

    Die Problematik des Regierens in entgrenzten Räumen weist darüber hinaus darauf hin, dass sich im 21. Jahrhundert Innen-, Außen- und internationale Politik kaum mehr systematisch trennen lassen und dass Politik zunehmend von transnationalen und nichtstaatlichen Akteuren mitgestaltet wird. Die Tätigkeiten inter- und transnationaler Organisationen haben unmittelbare Auswirkungen auf die politischen Verhältnisse innerhalb der Staaten, und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit. Umgekehrt kann man staatliche Außenpolitik und die Politik inter- und transnationaler Organisationen nicht erklären, ohne die politischen Prozesse innerhalb der Staaten in den Blick zu nehmen. Auch hier sind vergleichende Studien gefragt, und zwar nicht nur mit Blick auf die europäischen und transatlantischen Erfahrungen, sondern auch in Bezug auf die aufstrebenden neuen Mächte und die Probleme des Globalen Südens.

  • Soziologie

    Seit ihrer Entstehung versteht sich die Soziologie als Schlüsseldisziplin zur Erforschung der modernen Industriegesellschaft. Der Wandel der Industriegesellschaft stellt die Soziologie daher vor besondere Herausforderungen. Die Fritz Thyssen Stiftung möchte in dieser Umbruchperiode insbesondere sozialwissenschaftliche Forschungsvorhaben fördern, die den Wandel von der Arbeits- zur Wissenschaftsgesellschaft zum Thema haben und Ausblicke auf künftige Entwicklungen westlicher Gesellschaften im globalen Kontext eröffnen. Dieser Wandel soll in all seinen Auswirkungen untersucht werden, die nicht nur die Arbeitswelt, sondern beispielsweise auch biographische Karrieren, Veränderungen familialer Strukturen und Umbrüche der Mentalitäten sowie Innovationen der Lebensstile und der Lebensführung betreffen. Dazu gehören Untersuchungen zu neuen Formen der Erwerbsarbeit und der Berufswege ebenso wie Wandlungen traditioneller Biographiemuster, des Freizeitverhaltens, der Geschlechterbeziehungen und öffentlicher Debatten. Von besonderer Bedeutung sind in der Gegenwart die Relationen zwischen den ökonomischen, politischen, rechtlichen, wissenschaftlichen, pädagogischen, technischen und kulturellen Logiken einer Gesellschaft, deren Komplexität immer weniger handhabbar wird und die sich neuen Herausforderungen stellen muss. Erwünscht sind deshalb Studien, die sich dem Umbau der traditionalen Arbeitsgesellschaft zur Wissensgesellschaft, dem Umbau von autarken, nationalstaatlich begrenzten Gesellschaften zu transnationalen und globalen und der Veränderung von Steuerungs- und Gestaltungskompetenz widmen, in der die Schaffung neuen Wissens, dessen intelligente Nutzung und schnelle Anwendung von vorrangiger Bedeutung sind. Aufmerksamkeit sollte neuen Prozessen des Lehrens und Lernens gewidmet werden, die traditionale Sozialisationsagenturen von der Schule bis zur Universität verändern; wir stehen vor entscheidenden Revisionen der Didaktik und der Curricula.

    Im Bereich der Soziologie räumt die Fritz Thyssen Stiftung Projekten eine hohe Priorität ein, die unser Verständnis des sozialen Wandels in der Gegenwart mit Blick auf die Gesellschaft der Zukunft befördern könnten.

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