Arbeitskreis „Text & Textlichkeit“
Ohne vorschnell eine regelrechte Krise von Text und Textlichkeit in den Geisteswissenschaften ausrufen zu wollen, kann dennoch konstatiert werden, dass im Blick auf das Phänomen »Text« in den Human- und Sozialwissenschaften ein wachsender Aufmerksamkeitsverlust festzustellen ist, dem eine zunehmende wissenschaftliche Aufmerksamkeit für die Bildmedien parallel geht.
Insbesondere in poststrukturalistischen und kulturwissenschaftlichen Zugriffen wird das Phänomen »Text« entgrenzt, wodurch es nur noch schwer präzise zu fassen ist. Einer solchen Ent-Ontologisierung eines klassischen Begriffs von »Text« korrespondiert nun aber eine ebenso problematische, teilweise aggressive Re-Ontologisierung von »Text«: Man kann durchaus von einer Konjunktur von Wortlautfundamentalismen religiöser, technizistischer, moralistischer oder juristischer Art sprechen. Neofundamentalistische christliche wie islamische Bewegungen beharren auf einem ein-eindeutigen und für alle Zeit von Gott normierten Wortlaut Heiliger Texte wie der Bibel und des Qur’an; Fragen der Authentizität bestimmter Passagen oder ihrer Interpretation sollen allein auf technischem Wege durch algorithmische Textsequenzierung gelöst werden; durch Beharren auf »political correctness« und Aufspüren tatsächlicher wie angeblicher »micro aggressions« in Rede und Text wird ebenfalls ein sehr enger Kanon von möglichen und dadurch autorisierten Aussagemöglichkeiten und Interpretationen normiert.
Das Forschungsinteresse des von Prof. Andreas Kablitz (Lehrstuhl für Romanische Philologie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität zu Köln), Prof. Christoph Markschies (Lehrstuhl für Ältere Kirchengeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin) und Prof. Peter Strohschneider (Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik, Ludwig-Maximilians-Universität München) geleiteten Arbeitskreises »Text und Textlichkeit« richtet sich auf das Funktionieren und die Funktionen von Texten im Betrieb der Literatur- und Medienwissenschaft, der Sozial- und Geschichtswissenschaften sowie der Theologie und Rechtswissenschaft. Solche Praxen und die aus ihnen erhebbaren Praktiken sollen in einer dichten Beobachtung beschrieben, verglichen und kategorisiert werden. Alle involvierten Wissenschaften sollen von den Impulsen aus den Fachdiskussionen der sich jährlich an zwei Terminen treffenden Mitglieder des Arbeitskreises profitieren.
Das programmatische Ziel dieses Arbeitskreises ist die Stabilisierung eines Forschungszusammenhangs von paradigmatischer Bedeutung für die historisch-hermeneutischen Wissenschaften. Er beabsichtigt eine Grundlagenreflexion für die Geisteswissenschaften durchzuführen, die der Stabilisierung gemeinsamer Identitäten zuarbeitet, und dies frei von einer unbesonnenen Harmonisierung von Differenzen.
(Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin – PK, http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001EC3F00020000)