Visueller Aktivismus. Das bildpolitische Handeln westlicher Nichtregierungsorganisationen und Fotojournalisten zwischen den 1960er und den 1990er Jahren
Zwischen den späten 1960er-Jahren und dem Ende der 1990er-Jahre vollzog sich ein tiefgreifender Wandel der politischen Handlungsformen im zivilgesellschaftlichen Engagement westlicher Länder. Aus einer zunehmend engen Verflechtung zwischen Fotojournalistinnen und -journalisten und internationalen Nichtregierungsorganisationen entstand ein beide Gruppen verbindendes Feld des visuellen Aktivismus. Dieser Prozess speiste sich aus einem neuen aktionistischen, auf die konkret erfahrbare Weltveränderung abzielenden Selbstverständnis, in das sich emphatische Hoffnungen auf die politische Wirkmacht von Fotographie mischten.
Der bildpolitische Aktivismus, in dem sich diese Impulse niederschlugen, prägte die Unternehmungen der Nichtregierungsorganisationen in verschiedenen Themenfeldern auf vielfältige Weise: Er beeinflusste ihren Veränderungsanspruch, ihre institutionellen Strukturen und Operationsweisen, ihre politischen Botschaften und ihre öffentliche Ausstrahlung. Eine lineare Entwicklung hin zu stärkerer öffentlicher Sichtbarkeit und einer größeren Reichweite ihrer gesellschaftlichen Anliegen ergab sich daraus allerdings nicht. Die Folgen waren ambivalenter, da sich die intendierten Effekte visuell gestützter Kampagnen keineswegs immer einstellten, sich die erwarteten fotographischen Spielräume oft bei Weitem nicht eröffneten und sich eine wachsende öffentliche Kritik an den alarmistischen und reduktionistischen Wirkungen des Einsatzes visueller Medien geltend machte. Auf diese Weise bildeten sich spannungsreiche und vieldeutige Formen eines stark von Visualität geprägten nichtstaatlichen Handelns heraus, die bis heute charakteristisch scheinen.
Im Rahmen des Projekts werden die Bedingungen, Prozesse und Effekte dieses Wandels anhand dreier der für die Entwicklungen entscheidenden Nichtregierungsorganisationen, Amnesty International, Greenpeace und den Médecins sans frontières, anhand der weniger prominenten Organisation Zero Population Growth sowie anhand der Tätigkeit maßgeblicher Vertreter und Vertreterinnen eines „aktivistischen“ Fotojournalismus (u. a. Cornell Capa, Stuart Franklin, Jean-Marie Simon) untersucht. Dabei werden u. a. die institutionellen Bedingungen der Bildproduktion in den Organisationen sowie interne Debatten über die Bildverwendung, Auswahlprozesse von Bildern und Entwicklungen visueller Strategien in den Blick genommen und die Bildinhalte mit Hilfe ikonographischer Analysen und kunsthistorischer Ansätze der Bildwirkungsforschung untersucht. Damit wird ein Beitrag zur Geschichte internationaler Nichtregierungsorganisationen in der zweiten Jahrhunderthälfte, zur Geschichte des Fotojournalismus und zur Diskussion über Deutungen und Periodisierungsmöglichkeiten der jüngsten Zeitgeschichte angestrebt.