Sklavenhandel & Industrialisierung
Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht die Produktion von „Manillen“ als Zahlungsmittel im atlantischen Sklavenhandel und ihre Bedeutung für die Industrialisierung.
Metallobjekte aus Kupfer und verschiedenen Kupferlegierungen waren jahrhundertelang die bevorzugten Zahlungsmittel auf den westafrikanischen Sklavenmärkten. Armreifenförmige Metallringe – so genannte Manillen – wurden millionenfach von Europa nach Afrika verschifft. Ihr Einfluss in Westafrika war so groß, dass sie bei ihrer Einziehung durch die britische Regierung 1948 über die Sklavenmärkte hinaus längst offizielle Währung geworden waren.
Der Sklavenhandel hat in Europa zwar eine lange Tradition, die bis ins Mittelalter und die Frühe Neuzeit zurückreicht, aber erst im 17. Jahrhundert wurde er quantitativ wirklich bedeutend. Denn neben den Portugiesen stiegen nun auch Holländer, Briten, Franzosen und Skandinavier in den profitablen Sektor ein, und die Briten verdrängten Portugal im 18. Jahrhundert von Platz eins. Aber auch Deutschland bzw. Zentraleuropa scheint erheblich vom transatlantischen Sklavenhandel profitiert zu haben. Es gibt Hinweise darauf, dass alle Sklavenhandelsnationen die entsprechenden Zahlungsmittel zunächst ausschließlich aus der Rhein-Maas-Region bezogen, von der weltgrößten Messingindustrie jener Zeit. Naturwissenschaftliche Analysen von Manillen des 17.-19. Jahrhundert legen jedoch nahe, dass sie später vor allem in England hergestellt wurden. Unklar bleibt allerdings weiter, von woher die Erze für diese Manillen stammten, ob sie nach wie vor vom europäischen Festland kamen oder ob die Engländer durch technische Errungenschaften und neuartige Schmelzprozesse ihre eigenen, lokal gewonnenen Komplex-Erze zur Produktion heranziehen und sich damit unabhängig vom kontinentaleuropäischen Metallmarkt etablieren konnten. Aus welchen Erzen, in welchen Werkstätten und über welche Handelswege die anderen Nationen wie Frankreich, Dänemark, Schweden oder die Niederlande ihre Zahlungsmittel für Afrika erhielten, ist ebenso unklar.
Dem Forschungsprojekt liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Engländer möglicherweise mit einer von ihnen entwickelten Massenproduktion von Manillen an die Spitze des Sklavenhandels setzen. Damit wird die bisher in der Forschung vertretene These, dass Sklavenhandel und Plantagenwirtschaft die industrielle Revolution in Europa (und vor allem in Großbritannien) begünstigt haben, infrage gestellt. Die hier formulierte Hypothese dreht die Kausalität um: Konnte Großbritannien dank industrieller Massenproduktion des Hauptzahlungsmittels zum Kauf von Sklaven zur führenden Sklavenhandelsnation werden und so auch seine Stellung als Kolonialmacht in den Plantagenregionen der Karibik verbessern? Die Manillen hätten damit nicht nur große Bedeutung für die Diskussion um die Profiteure des transatlantischen Sklavenhandels, sondern ihnen wohnte auch das Potential inne, als industriegeschichtliche Proxies fungieren zu können. Sie könnten somit ein „missing link“ zwischen Industrialisierung und Sklavenhandel sein.
Im Rahmen des Forschungsvorhabens werden Manillen (und assoziierte Kupfer- bzw. Reißscheiben) verschiedener britischer, französischer, portugiesischer, dänischer und niederländischer Schiffswracks des 17.-19. Jahrhunderts mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht, sodass ihre Rohstoffe, Werkstätten und letztlich auch die Produzenten und Profiteure ausgemacht werden können.
Das Forschungsprojekt kann an Ergebnisse des von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekts „Globaler Metallhandel im 16. Jahrhundert – Von Europa nach Afrika und Indien“ (Prof. Andreas Hauptmann, dessen Mitarbeiter Dr. Skowronek war) anknüpfen. Im Rahmen dieses Projekts wurden bereits einige wenige Manillen des 16. Jahrhunderts von verschiedenen Schiffswracks untersucht.