Sexualität übersetzen. Eine vergleichende Untersuchung zur Lokalisierung internationaler Standards zur Sexualerziehung in schulischen Bildungskontexten
Seit Mitte der 1990er Jahre haben sich internationale Ansätze zur Sexualerziehung durchgesetzt. Dies gilt auch für das von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen propagierte Konzept einer comprehensive sexuality education (CSE), mit der Regierungen aufgefordert werden, für Jugendliche umfassenden Zugang zu Sexualerziehung zu gewährleisten.
Im Rahmen des Projekts wird untersucht, wie internationale Ansätze und Regelwerke zur umfassenden Sexualerziehung in nationale, vor allem aber in lokale und insbesondere schulische Kontexte nicht-westlicher Gesellschaften vermittelt werden. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass in internationalen Regelwerken zur Sexualerziehung ein liberales und biomedizinisches Verständnis sexueller und reproduktiver Gesundheit dominiert, das im Zuge der Lokalisierung in nicht liberal geprägten Gesellschaften auf zahlreiche institutionelle, politische und soziale Widerstände stößt. Lokalisierung bedeutet eine Übersetzung globaler in lokale Zusammenhänge. Übersetzung wiederum wird nach Bachmann-Medick (2012) als interaktive Vermittlung durch Übertragung in neue Kontexte verstanden. Hierbei stellt sich die Frage, wie lokale Akteure diese internationalen Ansätze zu sexueller und reproduktiver Gesundheit, die bereits Eingang in nationale Bildungspläne gefunden haben, im Kontext ihrer schulischen Vermittlung übersetzen. Vier Formen der Übersetzung können hierbei auftreten: Widerstand, Meidung, Re-Interpretation und Übernahme.
Prof. Bonacker vergleicht hierzu schulische Kontexte in Äthiopien und Kenia. Beide Länder haben Sexualaufklärung bereits in ihre Curricula integriert und sind Teil des Eastern and South African Commitment, welches Bildungsreformen zugunsten der CSE vorsieht. Der Vergleich wird entlang der Differenzkriterien Religion (christlich/muslimisch) und Demographie (städtisch/ländlich) durchgeführt. Dieses Forschungsdesign erlaubt einen Fallvergleich, auf dessen Basis geprüft werden kann, inwiefern spezifische Kontextfaktoren für Art und Verlauf der Übersetzung ausschlaggebend sind.
Die vier folgenden, aufeinander aufbauenden Interaktionskontexte, in denen schulbasierte Ansätze von Sexualerziehung vermittelt werden, sind damit Gegenstand der Untersuchung: Schulcurricula sowie damit einhergehende Prozesse auf nationaler und kommunaler Ebene; Übersetzung von Regelwerken der Sexualaufklärung in internationalen Workshops und Trainings insbesondere für Lehrkräfte; Identifizierung konkreter schulbezogene Alltagsinteraktion, in denen die Übersetzung von Sexualaufklärung stattfinden soll und schließlich Analyse dieser schulbezogenen Alltagsinteraktionen.