Qaraite and Rabbanite calendars: origins, interaction, and polemic
Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht der Gebrauch des Kalenders bei den jüdischen Gruppen der Rabbaniten und Karaiten im Nahen Osten und im Byzantinischen Europa in der Zeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert.
Das orientalische Judentum spaltete sich im Mittelalter in zwei Gruppen. Während die Rabbaniten weiterhin an der talmudischen Tradition festhielten, stellten die Karaiten die Autorität der rabbinischen Lehre in Frage und interpretierten die Gebote ausschließlich aus dem Tanach, den biblischen Schriften, und nicht aus der mündlichen Thora, dem Talmud. Das führte zu unterschiedlichen Auslegungen der Religion und der Praktiken des religiösen Lebens, wie zum Beispiel der Speiseregeln, der Sabbatheiligung oder der Ehegesetze. Eine der Meinungsverschiedenheiten bezog sich dabei auch auf die Berechnung des Kalenders und damit die Festlegung der religiösen Feste. Der jüdische Kalender orientierte sich am Mond-Zyklus. Kontroversen ergaben sich zwischen den beiden jüdischen Richtungen bezüglich der Bestimmung des Monatsanfangs (nach dem Neumond oder astronomischen Konstellationen), der Einbeziehung der natürlichen Abläufe (wie Aussaat- und Erntezeiten) in den Kalender sowie der Einfügung eines zusätzlichen (13.) Monats, um den Mondkalender mit der Abfolge der Jahreszeiten in Übereinstimmung zu bringen. Kalender und Zeit spielten in der mittelalterlichen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Sie ordneten das gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Leben. Meinungsverschiedenheiten über den Kalender konnten somit durchaus gravierende Auswirkungen auf das Zusammenleben gesellschaftlicher Gruppen haben und im schlechtesten Fall zu Zerwürfnissen und Spaltungen führen.
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die unterschiedlichen Zeitrechnungen und ihre ideologischen Begründungen sowie die Auswirkungen der differierenden Kalender auf den (religiösen) Alltag und das Verhältnis der beiden jüdischen Gruppen zueinander zu untersuchen. Dabei werden u. a. die Ursprünge und die Geschichte des rabbanitischen und karaitischen Kalenders, die öffentlich ausgetragenen Kontroversen und die Probleme im Alltagsleben erforscht. Als Hauptquellen werden literarische Texte (z. B. Abhandlungen über den Kalender) und biblische Kommentare, aber auch Dokumente, die auf das Alltagsleben Bezug nehmen (u. a. administrative Dokumente, Gesetzbücher), herangezogen.
Das Projekt, das Ansätze der Kultur-, Identitäts- und Religionsgeschichte verbindet, wird in drei Schritten umgesetzt. Zunächst werden die relevanten Texte in jüdisch-arabischen und hebräischen Handschriften in Online-Datenbanken und Bibliothekskatalogen recherchiert. Daraufhin werden ausgewählte Texte für eine (kommentierte und übersetzte) Edition (online und als Printversion) vorbereitet werden. Schließlich werden die Quellen in Hinblick auf die Forschungsfragen analysiert.