Die nationalsozialistischen Thingstätten: Un/Sichtbares Erbe im erinnerungskulturellen Diskurs
Im gesamten Deutschen Reich war der Bau von rund 400 dieser Anlagen geplant, fertiggestellt wurden in den 1930er-Jahren letztlich aber nur etwas mehr als 30 Stätten.
Die Thingstätten dienten der Propagierung und Festigung der „Volksgemeinschaft“ und konnten – je nach Anlage – mehrere 10.000 Zuschauer fassen. Anders als viele andere NS-Großbauten sind sie heute allerdings weitgehend vergessen. Sie waren weder in der erinnerungskulturellen Debatte der letzten drei Jahrzehnte Gegenstand der Diskussion noch haben sie in der geschichts- und kulturwissenschaftlichen Forschung eine größere Beachtung gefunden. Das erstaunt, denn viele Thingstätten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg weiter genutzt. Hierzu gehören beispielsweise die heute als Berliner Waldbühne bekannte Dietrich-Eckart-Freilichtbühne, die in Bad Segeberg erbaute Anlage, in der seit 1952 die Karl-May-Spiele stattfinden, sowie der „Volkspark“ Borna in der ehemaligen DDR, der – ganz im sozialistischen Sinn – für Maikundgebungen, FDJ-Treffen etc. genutzt wurde. Es gibt aber auch Stätten, die weitgehend aus dem öffentlichen bzw. kommunikativen Gedächtnis verschwunden sind, wie z. B. der zwar gut erhaltene, aber nur wenig präsente Thingplatz auf dem Heidelberger Heiligenberg oder die überwachsenen und kaum noch sichtbaren Anlagen in Passau und Braunschweig.
Im Zentrum des Forschungsprojekts steht die Frage sowohl nach der Rezeption als auch nach der Akzeptanz der Thingstätten seit Ende des Zweiten Weltkriegs und die damit verbundenen Bedeutungsverschiebungen. Es geht somit um die Stätten selbst – als Objekte –‚ die Akteure und die Diskurse.
Die Untersuchung wird anhand von fünf Fallstudien durchgeführt (Berlin, Bad Segeberg, Borna, Braunschweig, Heidelberg, Passau). Dabei wird unter anderem gefragt, wer die Stätten nach dem Zweiten Weltkrieg wie, warum und ab wann nutzte und welche Aushandlungsprozesse dabei stattfanden. Untersucht wird auch, welche Rolle die spezifische Architektur der Anlagen für die Weiternutzung spielte. Während die diachrone Untersuchung darauf zielt, anhand der Quellen Objektbiographien im Sinne einer „dichten“ Beschreibung zu erstellen, beschäftigt sich ein zweiter Untersuchungsschwerpunkt in synchroner Perspektive damit, welches Wissen es heute über die Orte und welchen Umgang es mit ihnen gibt (durch Vertreter der Städte, Denkmalpflege, Tourismusbüros, Vereine, Stadtmuseen etc.) und wie diese wahrgenommen werden.
Für die objektbiographische Analyse wird vor allem auf Dokumente aus den jeweiligen Stadtarchiven und Stadtmuseen zurückgegriffen. Hinzu kommen Recherchen in den Archiven der zuständigen Denkmalbehörden sowie in Lokalzeitungen. Die synchron-vergleichende Perspektive setzt auf ethnographische sowie textanalytische Methoden: Es werden Interviews mit Vertretern der Städte, Denkmalpflege/Stadtmuseum etc. geführt und Nutzerkommentare in einem Internetportal ausgewertet. Die kritisch-inhaltliche Analyse der Kommentare nimmt die Wahrnehmungen und Bedeutungszuschreibungen in den Blick und soll so detaillierte Erkenntnisse zu Rezeption und Akzeptanz der Thingstätten heute ermöglichen.