Historische, städtisch-ostfälische Umgangssprachen. Gestalt, Verbreitung, Entwicklung
Mit dem Projekt widmet sich Dr. Conrad einer mehrheitlich historischen städtischen Varietät im Ostfälischen und damit auch einem in Bezug auf das Hochdeutsche prominenten deutschen Sprachraum.
Denn während deutschlandweit Menschen ein ‚bestes‘ oder ‚reines‘ Hochdeutsch in diesem Raum verorten, ist nur wenigen bekannt, dass sich zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert in den ostfälischen Städten eine ‚Zwischenvarietät‘ zwischen dem regionalen Niederdeutsch und dem regionalen Hochdeutsch entwickelt hat. Die städtisch-ostfälischen Umgangssprachen, die zahlreiche Parallelen in Norddeutschland auch außerhalb des ostfälischen Raumes finden (z. B. in Hamburg, in Berlin oder dem Ruhrgebiet), sind im Laufe des 20. Jahrhunderts auch unter dem Druck des medial vermittelten Hochdeutschen zunehmend abgebaut worden. Gerade im Vokalismus älterer Personen aus dem ostfälischen Sprachraum lassen sich gegenwärtig jedoch noch Spuren dieser Sprachform im gesprochenen Hochdeutsch nachweisen, z. B. in der Aussprache von /a, aː/ als zentralisierte Varianten [ə, əː] oder /aɪ/ als [aːɪ].
Während ältere Personen sich dieser früheren Umgangssprachen durchaus noch bewusst sind, ist die Forschungslage dazu insgesamt als dürftig zu beschreiben. Insbesondere fehlt eine umfängliche sprachliche Analyse empirisch gewonnener Sprachdaten, die über anekdotische und impressionistische Beschreibungen hinausgeht – und somit die aktuell noch vorhandenen Überreste dieser bedeutenden historischen Varietät wirklich erfassen kann.
Dr. Conrad möchte daher mit dem Projekt eine bedeutsame Forschungslücke schließen, indem die städtisch-ostfälischen Umgangssprachen in Vergangenheit und Gegenwart umfassend, ganzheitlich und nachhaltig dokumentiert und beschrieben werden. So wird die Gestalt der historischen sowie heutigen Varietät in ihren Merkmalen beschrieben und die Verbreitung und Entwicklung derselben nachgezeichnet.
Für diese Beschreibung der linguistischen Gestalt der früheren und heutigen Verbreitung innerhalb des ostfälischen Raumes sowie die Entstehung und Entwicklung dieser Varietät, die auch noch gegenwärtig Einfluss auf die gesprochensprachliche ostfälische Sprachlandschaft hat, führt Dr. Conrad drei Daten zusammen: Erstens werden bereits vorhandene schriftliche Zeugnisse zur städtisch-ostfälischen Varietät erschlossen und zusammengebracht. Ziel ist eine möglichst lückenlose Synopse aller Beschreibungen und sprachwissenschaftlichen Zeugnisse. Zudem analysiert er bereits verfügbare Korpora für den ostfälischen Raum und wertet sie gezielt nach Merkmalen der städtischen Varietät aus. Schließlich ist auch die Aufnahme aktueller Sprach- und Interviewdaten und auch deren akustische Auswertung geplant. Konkret werden in 20 ausgewählten ostfälischen Orten je eine männliche und weibliche Person ab 65 Jahren interviewt, die einen Text vorlesen und eine Bildergeschichte nacherzählen soll.
Neben den objektsprachlichen Daten werden in fokussierten Interviews auch individuelle Wissensbestände um die städtisch-ostfälische Varietät erschlossen und in Experteninterviews auch Perspektiven von Personen hinzugefügt, die sich eingehend mit dieser Varietät in Geschichte und Gegenwart beschäftigt haben.