Guwantu – Die „Illustrationen antiker Kuriosa“ des Yongzheng-Kaisers (1723-1735). Ein Beispiel höfischer Sammlungspraxis und -dokumentation in der Qing-Zeit
Gegenstand der Studie ist die im Londoner Victoria and Albert Museum verwahrte Bildrolle B/C-8 aus dem Jahr 1729. Es handelt sich dabei um eines von weltweit zwei erhaltenen Verzeichnissen, die einen Teil der Kunstsammlungen des Yongzheng-Kaisers illustrieren.
Bei den Guwantu, die wohl als Serie in Auftrag gegeben wurden und aus mindestens acht, möglicherweise sogar aus bis zu 24 einzelnen Rollen bestanden haben dürften, handelt es sich um illustrierte Inventare antiker, aber auch zeitgenössischer Kunstwerke, Kuriosa und anderer Objekte aus dem Besitz des Kaisers. Die Bildrolle B/C-8 präsentiert sich als montierte Handrolle (64 cm x 2648 cm) mit 255 verzeichneten Objekten, Schränken und Kabinetten, die in Tusche und Farbe dargestellt sind. Ziel des Vorhabens ist es, das Inventar der Rolle zu identifizieren, Aussagen über die Funktion der Guwantu zu sammeln und die damit verbundene Sammel- und Herrschaftspraxis des Kaisers darzustellen.
Das an der Schnittstelle chinabezogener Kunst- und Kulturgeschichte angesiedelte Projekt wird durch drei Hypothesen geleitet. Dr. Grmberg geht davon aus, dass die Guwantu im Gegensatz zu früheren Katalogwerken vornehmlich nicht der Inventarisierung, sondern vielmehr der visuellen Dokumentation der gesammelten Artefakte als repräsentativer Ausdruck der „Fürsorge“ des Sammlers für seine Objekte dienten. Die ontologische Seite der Objekte zu betrachten und ihre performative, konstruktive und konstitutive Kraft zu diskutieren, begreift er hier als Leitidee. Sodann geht Dr. Grimberg davon aus, dass die in den Bildrollen abgebildeten Objekte dingliche Repräsentationen des Konzeptes von „tianxia“ darstellen, also der universellen Reichs- und Herrschaftsauffassung des chinesischen Kaisertums. Der materielle Aspekt von Herrschaft, etwa der Besitz und Gebrauch heiliger oder mystisch konnotierter Objekte, die alleine dem Herrscher vorbehalten waren, hatte auch in China eine lange Tradition. So erscheint es nur folgerichtig, wenn sich der Yongzheng-Kaiser durch den Besitz außergewöhnlicher Objekte (u. a. Porzellane mit Drachendekor oder antike Bronzegefäße aus prominentem Vorbesitz) als oberster Gelehrter, Bewahrer und Kulturhüter seines Reiches auszuweisen und seine Herrschaft u. a. auch durch die Objekte zu legitimieren suchte. Anhand einer detaillierten Analyse der Rolle B/C-8 und der dort aufgeführten Objekte wird das Sammeln des Kaisers als Ausdruck politischen Handelns dargestellt. Der dritten Hypothese zufolge handelt es sich bei den Guwantu nicht um bebilderte Inventare zur Objektverwaltung, sondern um individuelle, detailreiche und naturalistische Portraits der dort abgebildeten Objekte, die als „Handlungsträger“ mit dem Betrachter interagieren und so „Netzwerke“ ausbilden sollten.
Im ersten Schritt der Untersuchung werden sowohl die Rolle B/C-8 als auch die abgebildeten Objekte detailliert beschrieben und analysiert, wobei auf das bewährte Instrumentarium zurückgegriffen wird. Bei der textkritischen Auswertung einschlägiger Passagen der Memoranden- und Ediktsammlungen, die in modernen Ausgaben vorliegen, geht es u. a. darum, die Entstehung der Guwantu und die Rolle Giuseppe Castigliones (1688–1766), dem Jesuitenpater aus Mailand, der unter dem Qianlong-Kaiser sogar zum Hofmaler aufsteigen sollte, als „Objektportraiteur“ genauer zu fassen. Anschließend werden Dokumente aus dem Archiv der kaiserlichen Werkstätten, die in digitaler Form vorliegen, mit Blick auf die beteiligten Künstler aus dem Umfeld Castigliones ausgewertet und die Provenienz der Rolle neu diskutieret. Dabei wird vor allem die Zeit vor dem Ankauf durch Captain Rivett-Carnac im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beleuchtet und – anhand des Archivmaterials des Kaiserlichen Hofamtes – geklärt, ob die Guwantu ursprünglich im Sommerpalast Yuanmingyuan aufbewahrt und im Zuge der Brandschatzung des Palasts durch britische und französische Truppen im Oktober 1860 gestohlen wurden. Es ist zu vermuten, dass die übrigen Rollen in den Flammen verloren gingen.