Cultivating Ethics Across Generations: Translocal Dynamics of Kin Relations in Bangladesh and Northeast India
Verwandtschaft hat in einer zunehmend globalisierten Gegenwart entgegen zuvor getätigter anthropologischer Annahmen nicht an Bedeutung verloren, sondern ist für viele Menschen die wichtigste Art und Weise, sich auf die Welt zu beziehen und ihren Platz in der Welt zu lokalisieren.
In diesem Sinne stehen im Mittelpunkt des Vorhabens Verwandtschaftsverhältnisse und die Annahme, dass diese in vielen Gesellschaften aufgrund historischer, politischer und sozioökonomischer Umstrukturierungen vielfältigen Wandlungen unterliegen. Dr. Hölzle vermutet, dass diese Änderungen auf eine translokale Ausdehnung der Familien aufgrund von Migration zurückzuführen sind. Wanderungsbewegungen brächten ein sich veränderndes Moralverständnis mit sich.
Zwar hat sich das Forschungsfeld der Verwandtschaftsstudien weiterentwickelt und diversifiziert, jedoch beziehen sich viele Studien auf Analysen von familiären Bindungen, die sich an einem einzigen Ort entfalten. Studien, die sich explizit auf das Zusammenspiel von Ethik und Verwandtschaft unter Berücksichtigung von mehr als einem geographischen Ort konzentrieren, und sich der Erforschung ihrer historischen Transformation widmen, sind eher selten. Darüber hinaus ist in vielen Verwandtschaftsstudien das Forschungsinteresse vorwiegend auf Kernfamilien gelegt worden.
Dahingehend soll das Vorhaben eine wissenschaftliche Lücke füllen, indem die Geschwister- sowie Tante/Onkel-Beziehungen zu Neffen/Nichten in den Mittelpunkt gerückt werden. Zudem nähert sich Dr. Hölzle mit diesem Projekt der Geschichte einer Großfamilie, die durch eine Landesgrenze getrennt ist. Es handlt sich um eine Familie, deren eine Hälfte in Bangladesch lebt sowie die andere in Meghalaya, Nordostindien.
Ziel dieses Projekts ist es damit, den Wandel des Familienalltags nachzuzeichnen, indem auch Veränderungen des Verständnisses von Ethik und Moral berücksichtigt werden. Dies soll gelingen, indem sich auf die Beziehungen zwischen den Generationen konzentriert wird. Zwei Fragen leiten hierbei die Analyse. Zunächst wird der Frage nachgegangen, wie Praktiken und moralische Vorstellungen von Gut und Böse funktionieren und sich über Generationen hinweg verändert haben. Darauf aufbauend wird die Frage beantwortet, wie die moralischen Transformationen zur Rekonfiguration von Verwandtschaftsbeziehungen beigetragen haben.
Theoretisch stützt sich Dr. Hölzle auf drei wissenschaftliche Linien. Zunächst werden Bezüge zur Praxistheorie hergestellt, welche die Bedeutung alltäglicher Handlungen bei der Ausübung der Verwandtschaft betonen. Zweitens werden neue kritische Verwandtschaftsstudien integriert. Diese berücksichtigen die wechselseitige Konstitution von Verwandtschaft und Politik und hinterfragen gleichzeitig romantische Darstellungen von Verwandtschaft, die Konflikte und Gewalt bei der Gestaltung von Verwandtschaftsbeziehungen vernachlässigen. Drittens werden pragmatische Ansätze, die Ethik und Moral als Modalität alltäglichen Handelns definieren, einbezogen.
Mithilfe einer historischen Analyse soll verstanden werden, wie sich Ethik und Verwandtschaft über einen längeren Zeitraum verändert haben.