Analyse der Akzeptanz und Kritik des deutschen Rentenversicherungssystems in der deutschen Bevölkerung unter Berücksichtigung von relevantem Wissen und Heuristiken
Der demographische Wandel in Deutschland stellt die Alterssicherungssysteme vor eine Herausforderung. Eine alternde Bevölkerung und anhaltend niedrige Geburtenraten resultieren in einem sinkenden Anteil von Erwerbspersonen, die die sozialen Sicherungssysteme tragen.
Aufgrund des entsprechenden Reformdrucks wurde seit den 1990er-Jahren das Alterssicherungssystem kontinuierlich umgestellt. Die Änderungen gingen zuletzt mit tiefen Einschnitten im Leistungsniveau der öffentlichen Sicherungssysteme einher, so z. B. durch das höhere Renteneintrittsalter mit 67 Jahren. Die staatlichen Akteure bemühen Notwendigkeitsargumente und veränderte Gerechtigkeitsideale, um eine Legitimierung dieser Einschnitte herzustellen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Reformen ist jedoch noch nicht hinreichend geklärt.
Daher wird im Rahmen des Projekts folgende Forschungsfrage zu beantworten versucht: Wie ist der Wissensstand in der Bevölkerung zur demographischen Entwicklung und zur Funktionsweise der gesetzlichen Rentenversicherung und welchen Einfluss hat das Wissen auf die Bewertung des reformierten Alterssicherungssystems? Die bisherige Forschung hat aufgrund eher atheoretischer und unsystematischer Erhebungen widersprüchliche Ergebnisse zur Akzeptanz und ihren Erklärungsfaktoren erbracht.
Die Akzeptanz von politischen Entscheidungen durch die Bevölkerung wird als wesentliches Merkmal der Stabilität einer politischen Ordnung gesehen. Zu diesem zentralen Begriff sind jedoch bisher noch kein hinreichend klares Konzept und keine treffenden Indikatoren entwickelt worden. Prof. Westle entwirft daher eine mehrdimensionale Messung von Akzeptanz von Alterssicherungssystemen. Diese soll sowohl den empfundenen Ist-Zustand als auch den Soll-Zustand des Wohlfahrtsstaates erfassen. Zudem werden die Notwendigkeit der staatlichen Vorsorge und die Leistungsbewertung wie auch die Haltung zum Renteneintrittsalter indiziert.
Zentrale Annahme ist, dass das Wissen über den demographischen Wandel und die Funktionsweise des Rentenversicherungssystems die Akzeptanz der Reformen erhöht. Trotz der zentralen Bedeutung der kognitiven Dimension, ist der Einfluss des Wissensstandes noch nicht in repräsentativer Form erhoben und nur für Teilaspekte des Alterssicherungssystems untersucht worden.
Als weitere Determinanten der Akzeptanz werden zudem Gerechtigkeitsprinzipien, Eigeninteresse und Generationenbeziehung in die Untersuchung aufgenommen. Die Gestaltung von sozialen Sicherungssystemen kann als Kompromiss konkurrierender Gerechtigkeitsvorstellungen analysiert werden. Für die Alterssicherung bilden Leistungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit wichtige Komponenten der Gerechtigkeitsideale. Auch der Zusammenhang von Wissen und Gerechtigkeitsprinzipien auf Akzeptanz ist noch gänzlich unerforscht. Das Eigeninteresse von Bürgern variiert je nach Alter, sozioökonomischer Lage und Position im Sozialstaat. Positive intergenerationale Beziehungen können sich positiv auf die Akzeptanz der Alterssicherungssysteme auswirken, da ein höheres Verständnis der Bedürfnisse der jeweils anderen Generationen besteht.