Haltungen zu Menschen mit psychischen Krankheiten in einer sich polarisierenden Gesellschaft
Ausgrenzung und Diskriminierung sind nach wie vor für viele Menschen mit psychischen Krankheiten Realität. Dieses Stigma ist mit erhöhter Suizidgefährdung, geringerer Inanspruchnahme von Hilfen sowie mit sozialem Rückzug der Betroffenen assoziiert. Im Kontext einer allgemein spürbaren Polarisierung der öffentlichen Meinung, bspw. durch die Ablehnung politischer Korrektheit oder dem Schutz gesellschaftlicher Minderheiten, droht eine Zunahme der Stigmatisierung dieser besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe.
Ziel des Projektes ist es, die soziale Funktion von Stigmatisierung besser zu verstehen. Hierzu wird anhand einer wiederholt durchgeführten Bevölkerungsbefragung eine Trendanalyse der Einstellungen zu Menschen mit psychischen Krankheiten durchgeführt. Die erhobenen Einstellungen werden sowohl in situativen als auch in einem gesellschaftlichen Kontext verortet, um so neue Ansatzpunkte für Interventionen zum Schutz dieser Bevölkerungsgruppe zu finden. Die Fritz Thyssen Stiftung hatte das Vorgängerprojekt bereits 2011 gefördert.
Theoretisch greift das Projekt auf das Konzept sozialer Milieus nach Hradil (2006) zurück. Als Analyseinstrument wird eine Rahmenanalyse angewandt. Rahmungen werden als vereinfachende und verdichtende Bewertungen von Personen, Situationen und Objekten verstanden. Sie sind nicht nur auf der Ebene individueller Kognition zu verorten, sondern werden auch innerhalb einer kulturellen Gruppe sozial geteilt.
Vor diesem Hintergrund wurden unter anderem folgende Forschungsfragen formuliert: Welche Rahmungen psychischer Krankheit sind in verschiedenen Bevölkerungsgruppen salient? Inwiefern kann die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Milieus helfen, verschiedene Rahmungen von physischer Krankheit zu erklären? Inwiefern korrelieren die Einstellungen zu Menschen mit psychischen Krankheiten mit den Einstellungen zu anderen diskriminierten Minderheiten?
Zunächst soll mittels einer Rahmenanalyse von 30 bis 40 problemzentrierten Einzelinterviews einer möglichst heterogenen Stichprobe herausgefunden werden, wie psychische Krankheiten innerhalb unterschiedlicher Lebenswelten konzeptualisiert und kommuniziert werden.
In einem zweiten Schritt werden diese Rahmungen in quantifizierbaren Variablen abgebildet und zusammen mit den Indikatoren der Trendanalyse in einer großen Stichprobe der Allgemeinbevölkerung (n=2800) erhoben. Dabei stehen die Krankheitsbilder Schizophrenie und Depression im Mittelpunkt, da sie sich in Bezug auf Schwere, der wahrgenommenen Andersartigkeit und ihrer Häufigkeit von anderen psychischen Störungen unterscheiden. Indem auch Wertvorstellungen und sozio-ökonomischer Status der Befragten erhoben werden, können Rahmungen von psychischer Krankheit in Relation zu bestimmten sozialen Milieus gesetzt werden.
Schließlich ermöglicht das Projekt internationale komparative Analysen über einen längeren Zeitraum. Zum einen wird der neu erhobene Datensatz mit der vorangegangenen Langzeitstudie zu Einstellungen der deutschen Allgemeinbevölkerung seit 1990 zusammengeführt. Zusätzlich können die Ergebnisse mit Trendanalysen aus Österreich und Tschechien verglichen werden. Schließlich werden Veränderungen der öffentlichen Meinung in Hinblick auf andere Minderheiten mit der Entwicklung der Einstellungen zu Menschen mit psychischen Krankheiten in Beziehung gesetzt.